Im Sommer 2014 wurde mit Leserbriefen in der „Sächsischen Zeitung“ erbittert um das niederschlesische Gebiet in Sachsen gestritten. Einige „Oberlausitz- Verfechter“ unterstellten den Autoren der Sächsischen Verfassung sogar  eine „Verfassungslüge“. Auf dem Höhepunkt des Streites schrieb Volker Schimpff, einer der Verfassungsautoren, am 30.07.2014 den folgenden Brief. Ihn dürfen wir mit seiner Genehmigung auf unserer Netzseite veröffentlichen.
Friedemann Scholz, 14.09.2016

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MITTWOCH
30. JULI 2014
SÄCHSISCHE ZEITUNG
Von wegen Lüge: Einer der Autoren der Sächsischen Verfassung verteidigt den Platz Schlesiens in Sachsen
Von Volker Schimpff
Eine Verfassung für alle
Seit fast zwei Wochen tobt im Sommerloch ein Streit um das niederschlesische Gebiet in Sachsen. Im Interview mit Bernd Raffelt und in Leserbriefen war sogar von einer „Verfassungslüge“ die Rede. Das ist schon starker Tobak. Ich war von 1990 bis 2004 Vorsitzender des Verfassungs- und Rechtsausschusses des Sächsischen Landtages und damit auch 1990 bis 1992 des Ausschusses der Verfassungsgebenden Landesversammlung, in dem unsere Landesverfassung erarbeitet wurde. In ihr heißt es in der Präambel „Anknüpfend an die Geschichte der Mark Meißen, des sächsischen Staates und des niederschlesischen Gebietes …“, und im Artikel 2 bestimmt der vierte Absatz: „Im Siedlungsgebiet der Sorben können neben den Landesfarben und dem Landeswappen Farben und Wappen der Sorben, im schlesischen Teil des Landes die Farben und das Wappen Niederschlesiens, gleichberechtigt geführt werden.“ Nebenbei: Anders, als Raffelt als „Verfassungslüge“ angibt, steht in der Verfassung des Freistaates Sachsen nirgendwo etwas von einer „niederschlesischen Oberlausitz“, sondern von der Geschichte des „niederschlesischen Gebietes“ und vom „schlesischen Teil“ Sachsens. Die sächsische Verfassung ist 1990 bis 1992 in einem langen, offenen Prozess erarbeitet worden. In diesen Beratungen haben sich die Angeordneten und ihre juristischen Sachverständigen nicht nur um größtmögliche Einigkeit untereinander bemüht, sondern vor allem um größtmögliche Akzeptanz im Volk und um völlige verfassungsrechtliche Wahrheit und Klarheit. Dazu gehörte es auch, die Identität der Menschen in jenem Teil des Landes zu berücksichtigen, der nie zur Mark Meißen und erst seit 1945 zu einem Land Sachsen gehört. Das gehörte ebenso dazu wie viele andere Änderungen gegenüber dem ersten veröffentlichten Entwurf, in dem die Sorben ja auch nur als Minderheit standen; erst in der Verfassung konnten sie als Volk und Teil des sächsischen Staatsvolkes berücksichtigt werden. Es ist folgerichtig, dass die Verfassung deshalb auch die Beflaggungsrechte eingeräumt hat: Gleichberechtigt Farben und Wappen der Sorben im Siedlungsgebiet der Sorben, die Farben und das Wappen Niederschlesiens im schlesischen Teil des Landes. Mit diesen Bestimmungen wurde durch die Verfassung des Freistaates Sachsen den berechtigten Interessen der Menschen in Sachsen Rechnung getragen, die sich dem sorbischen Volk zugehörig fühlen oder die im früheren (nieder)schlesischen Landesteil wohnen; manchmal trifft ja sogar beides zu. Die Verfassung betont in ihrer Präambel, dass der wiedererstandene Freistaat Sachsen aus der Tiefe seiner Geschichte, auch seiner nichtsächsischen Geschichte schöpft. Mal schlesisch, mal sächsisch. Tatsächlich lagen die Lausitzen jahrhundertelang außerhalb Schlesiens, aber ebenso (nachdem sie 1635 von den Habsburgern an die albertinischen Wettiner abgetreten waren) außerhalb des sächsischen Kurstaates. Selbst nach der Bildung des Königreiches von Napoleons Gnaden wurde erst ab 1811 versucht, die Lausitzen mit den Erblanden zu vereinigen, und 1815 mussten die Niederlausitz und der nordöstliche Teil der Oberlausitz an Preußen abgetreten werden. Das hatte Folgen: Administrativ wurde Preußen 1816 in Provinzen gegliedert, die Niederlausitz gehörte seither (und bis heute) zu Brandenburg, dem damals auch Hoyerswerda zugeschlagen wurde, der größere Teil der nordöstlichen Oberlausitz kam zu Schlesien. Diese Provinzen bekamen 1825 eigene Provinziallandtage, aber es wurden auch untergeordnete regionale Vertretungen, die Kommunallandtage, erlaubt, so auch der Kommunallandtag der schlesischen Oberlausitz. Was die meisten der nun zu preußischen Staatsbürgern und schlesischen Provinzialangehörigen gewordenen Menschen mehr bewegt haben dürfte: 1819 wurden in den zu Preußen gekommenen Gebieten die Stein-Hardenbergschen Reformen eingeführt und dadurch die Bauern in der schlesischen Ober-lausitz aus der Erbuntertänigkeit befreit –dem Oberlausitzer Adel unter der sächsischen Krone blieben seine Leibeigenen noch bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts erhalten. In ihren großen Titeln nannten sich nun der König von Preußen „souveräner und oberster Herzog von Schlesien wie auch der Grafschaft Glatz“ und weiter hinten auch „Markgraf der Ober- und Nieder-Lausitz“, aber auch der Kaiser von Österreich trotz der Abtretungen von 1635 (Lausitzen), 1742 (Schlesien bis auf einen kleinen Rest) und 1809/1845 (Schirgiswalde) „Herzog von Ober- und Niederschlesien“ und weiter hinten „Markgraf von Ober-und Niederlausitz) und zeigten die entsprechenden Wappen. Erst 1918 verschwand schlagartig dieser jahrhundertealte feudale Glanz. Bereits 1919 wurden aus der Provinz Schlesien zwei Provinzen gebildet, Niederschlesien aus den Regierungsbezirken Breslau und Liegnitz (u. a. mit Görlitz) und Oberschlesien aus dem Regierungsbezirk Oppeln. Um sie gegen polnische Gebietsansprüche zu stärken, sollte so den zum Teil slawisch-sprachigen Oberschlesiern eine größere Autonomie ermöglicht werden; von 1939 bis 1941 legten die Nationalsozialisten in genau entgegengesetzter Absicht beide Provinzen wieder zusammen. 1945 bildete die Sowjetische Militäradministration aus dem bisherigen Sachsen (allerdings ohne den Oberlausitzer Landstrich östlich von Zittau) und den westlich der Neiße liegenden Teilen des Regierungsbezirks Liegnitz das Land Sachsen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Auf ihm beruht der heutige Freistaat Sachsen. Östlich der Neiße gibt es nach mancherlei Umorganisationen heute die Woiwodschaften Niederschlesien (aus der früheren Provinz), Oppeln und Schlesien (die aber außer oberschlesischen auch kleinpolnisches Gebiet einschließt). Die Zusammenarbeit zwischen dem Freistaat Sachsen mit seinem (nieder)schlesischen Landesteil und der Woiwodschaft Niederschlesien ist gut –dass es östlich und westlich der Neiße niederschlesisches Gebiet und schlesisches Erbe gibt, hat angespornt, aber in ihr niemals zu den mindesten Irritationen geführt. Solche Aufregungen bringt offenbar nur das Kuratorium „Einige Oberlausitz“ hervor. Und einige der ihm folgenden Leserbriefschreiber versprühen leider Gift und Galle. Das dürfen sie – denn in unserer Verfassung steht auch die Meinungsfreiheit. Das heißt, man darf auch Unwahrheiten äußern; allerdings sollten sie weder beleidigend noch herabsetzend sein. Der okkupatorische Eifer, dem schlesischen Landesteil seine Identität zu nehmen, ist für die Menschen mit dieser Identität herabsetzend. Weder in der sächsischen noch in der schlesischen Lausitz ist den Menschen mit solchem eifernden Chauvinismus gedient. Wer sich in Plauen nicht als Sachse, sondern als Vogtländer, in Rothenburg nicht als Schlesier, sondern als Lausitzer, oder Bautzen nicht als Oberlausitzer, sondern als Sachse fühlen möchte, kann das jederzeit; tatsächlich schließen sich diese Identitäten aber auch gar nicht aus. Man kann sich zugleich als Sorbe und Deutscher, Obersorbe und Oberlausitzer, Sachse und Schlesier, Europäer und Christ definieren, ohne eine gespaltene Persönlichkeit zu sein – und das ist gut so.
Unser Autor Volker Schimpff, (59), hat in Wittenberg Vor-und Frühgeschichte studiert, war Lehrer und von 1991 bis 2004 Landtagsabgeordneter (CDU). Heute ist er Publizist.


 

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