Ehrenamtlicher Einsatz für Spuren der Vergangenheit in Liegnitz
Der Liegnitzer Verein TILIAE machte Ende Mai 2022 mit einer ungewöhnlichen Intervention beim Stadtpräsidenten Schlagzeilen. Ein Bewohner der Stadt, der sich sehr für die Geschichte seiner Heimat interessiert, informierte den Verein über eigentümliche Pflastersteine, die zur Befestigung der Parkfläche in der ul. Zamkova 8 im Zentrum der Stadt verlegt wurden. Bei einer Besichtigung vor Ort wurde das bestätigt. Einige der Pflastersteine entpuppten sich als Teile alter, mit großer Gewissheit, deutscher Grabsteine. Leider sind die Steine zu klein, um bestimmte Namen oder Daten von ihnen lesen zu können (nur auf einem kann man den Monat und das Jahr deutlich sehen - 9. 1926; ein anderer zeigt wahrscheinlich den Anfang eines Namens - "Ann").
TILIAE wandte sich daraufhin am 25. Mai in einem Brief an den Bürgermeister und nicht zuerst an den Denkmalpfleger. „Es ist offiziell kein Verstoß gegen irgendwelche Regeln. Ich vermute, dass der Konservator nicht daran interessiert sein wird, zu untersuchen, wie das passiert ist. Deshalb haben wir den Präsidenten gebeten, einzugreifen“- sagt Hanna Szurczak. In dem Brief wird er aufgefordert, die verantwortliche Baufirma mit der Entfernung der einzelnen Fragmente aus der Pflasterung und deren Überführung auf das Liegnitzer Lapidarium zu beauftragen. „Es sei eine Schande für die gesamte Stadtgesellschaft in Liegnitz, daß die Spuren der ehemaligen Bewohner der Stadt zu diesem Zweck mißbraucht werden. Was sollen deren Nachkommen, die unsere Stadt so zahlreich besuchen, beim Anblick dieser Pflastersteine über uns denken?“ heißt es in dem Brief weiter. Hanna Szurczak, Vorstand bei TILIAE, stellte diese Fragen auch bei Gesprächen mit den landesweiten TV- Sendern TVN24 und Polsat. Diese zeigten sofort nach dem Bekanntwerden dieses Falls großes Interesse. Die Bürger der Stadt reagierten bei einer Befragung zu diesem Thema unterschiedlich. „Das geht gar nicht“, „So etwas kann man nicht tun, diese Grabsteine sind heilig.“, „Es ist unangemessen, doch es gibt noch mehr solcher Orte in Liegnitz“- so das Spektrum der Meinungen.
Zu den Orten, an denen alte Grabsteine als Baumaterial genutzt wurden, gehört auch die Mauer, die den Friedhof von Liegnitz umgibt. „Mein Vater hat dort seit 1965 gearbeitet und jeder vom Friedhof entfernte Stein, der nicht verkauft werden konnte, wurde zur jetzigen Friedhofsmauer verwendet“ - sagte Jan Brodecki von der ehemaligen Historischen Stiftung Liegnitz.pl. Ende, vielleicht auch schon Mitte der 1970er Jahre, wurde beschlossen, das Problem der vorhandenen deutschen Grabsteine endgültig zu lösen. Natürlich hatten die interessanteren Stücke längst neue Besitzer gefunden. Es war üblich, daß solche Materialien von Steinmetzen aus ganz Polen abgeholt wurden. Es gab sogar eine Preisliste, in der die Preise je nach Art und Größe des Steins angegeben waren. Nach der Entscheidung zur Verwendung blieben immer noch genug Steine übrig, um eine etwa 2 m hohe und über 1,5 km lange Doppelmauer zu bauen. Doppelt, weil die Platten auf ihren Inschriften verklebt wurden. Im Jahr 2014 besuchte die (heute nicht mehr existierende) Historische Stiftung Liegnitz.pl nach einem Hinweis eines Einwohners von Legnica die Bauschuttdeponie der Stadt. Unter den Trümmern unterschiedlicher Herkunft wurden vollständige Grabsteine mit deutschen Inschriften entdeckt. Sie wurden von Mitgliedern der Stiftung geborgen und bildeten den Anfang des Lapidariums von Liegnitz/Legnica, das dank der Stadtverwaltung auf dem städtischen Friedhof an der Wrocławska-Straße eingerichtet wurde. Sie haben so einen würdigen Platz gefunden. Es gab damals auch Stimmen die behaupteten, daß die Deutschen ihre Grabsteine mitnehmen konnten. Eine völlig haltlose Behauptung.Aufnahmen von Google-Maps aus dem Jahre 2017 zeigen, daß zu diesem Zeitpunkt das Pflaster noch nicht verlegt war. Wahrscheinlich wurde diese Fläche erst 2020 befestigt. Die Stadt handelte nach der Intervention von TILIAE sofort. Bereits am 1. Juni gab der Verein in den sozialen Medien bekannt, daß die Stadt geantwortet hat. In der Antwort wird erklärt, daß der Eigentümer des Grundstücks im Jahr 2017 die Freigabe zum Befestigen der Fläche erhielt. Außerdem bestätigt die Stadt, daß die Pflasterung teilweise mit Fragmenten deutscher Grabsteine erfolgte. Der Eigentümer ist aufgefordert worden, eine Erklärung für die Verwendung dieser Pflastersteine abzugeben und den Termin zu deren Entfernung der Stadt und dem Verein mitzuteilen. Auch die Baufirma wird zur umgehenden Entfernung der Grabsteinfragmente aufgefordert. Dies geschah in Anwesenheit eines Vertreters des Vereins am 9. Juni. Insgesamt wurden 12 Blöcke mit sichtbaren Inschriften oder Symbolen gehoben. Sie wurden in die Obhut des Vereins TILIAE gegeben und auf den Friedhof in der ul. Szczytnicka in Liegnitz gebracht. Es handelt sich um den kleinen, seit 1965 geschlossenen Friedhof des ehemaligen Dorfes Pfaffendorf/Piatnica, der seit 2019 vom Verein betreut wird. Die geretteten Fragmente stammen von einer Deponie, aus der die Stiftung „Liegnitz.pl“ 2014 die ersten vollständig erhaltenen Grabsteine geborgen hat. Wenn der Stadtrat zustimmt, wird TILIAE dort vielleicht weitere Erinnerungsstücke finden.
Der Vorstand und die Mitglieder der Landsmannschaft Schlesien in Sachsen danken TILIAE für deren selbstlosen Einsatz zur Erhaltung historischer Spuren der ehemaligen deutschen Bewohner. Ein kleiner Verein zeigt uns, was mit großer Einsatzfreude zu erreichen ist. Als wir Frau Szurczak von TILIAE Ende 2021 in Schreiberhau kennenlernten, konnten wir das Potential dieses Engagements noch nicht erahnen. Aber schon bei den Vorbereitungen und der Zusammenarbeit bei beiden Friedhofseinsätzen in Reichenbach/Eulengebirge wurden wir positiv vom Liegnitzer Verein überrascht. Wir sind dankbar, daß wir so einen Partner an unserer Seite haben und freuen uns auf eine weitere Zusammenarbeit.
F.Scholz, 10.7.22
Quellen: Hanna Szurczak
https://www.polsatnews.pl/wiadomosc/2022-06-08/legnica-plyty-nagrobne-zamiast-kostki-brukowej/?ref=slider&fbclid=IwAR2iJJX8A6UKtwXCCfip-cS_y_fNXK8fdWsgpqURtGnTvoFw8Q-s-JRw8Rw
https://tvn24.pl/polska/legnica-fragmenty-plyt-nagrobnych-wsrod-kostek-brukowych-na-parkingu-5729965?fbclid=IwAR3tLghHo8FmLL-VDCQtPd8bZJ24CRHE8yG7RLtxWS4os9xPj7dxZhkYVuQ
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